Donnerstag, März 25, 2010

Aufkeimender Fundamentalismus


Armstrong betrachtet den Fundamentalismus generell als Phänomen der Moderne und als Reaktion auf Aufklärung und Säkularisierung, die dem Glauben viel Terrain abgerungen hatten. Die vormoderne ergänzende Zuordnung von Religion und Vernunft funktionierte daher nicht mehr. Fundamentalisten wollten aber weiterhin fürs ganze Leben zuständig sein und vertraten daher häufig einen rationalen Glauben, der möglichst alles erklären und einordnen konnte.

In der christlichen Welt war wiederum Nordamerika führend, wiewohl John Nelson Darby (1800-82) aus England stammte. Er entwickelte die Sicht einer siebenteiligen Heilsgeschichte, den „Prämillenarismus“. Cyrus Ingerson Scofield (1843-1921) übernahm diese sieben Epochen in seinen Erklärungen zur Scofield-Bibel 1909. Der einflussreiche Erweckungsprediger Dwight Moody (1837-99) gründete 1886 das Moody-Bibelinstitut Chicago.
1901-15 wurde eine zwölfteilige Reihe „The Fundamentals“ durch führende konservative Theologen verbreitet in einer Auflage von je drei Millionen Stück. 1910 veröffentlichten bedeutende Presbyterianer Princetons eine Liste mit den fünf massgeblichen, unaufgebbaren christlichen Dogmen:
1. Irrtumslosigkeit der Bibel
2. Geburt von Jesus Christus durch die Jungfrau Maria
3. Jesu Kreuzestod als stellvertretende Sühne für die Menschen
4. leibliche Auferstehung der Toten bei Wiederkunft Jesu
5. objektive Wirklichkeit der Wunder Jesu

Die jüdische Welt war im 19. Jahrhundert vom aufkeimenden Zionismus bestimmt. Der war häufig säkular orientiert, hatte aber trotzdem eine spirituelle Komponente und transzendente Bedeutung. Die Arbeit „awoda“ auf den Feldern Israels sei Spiritualität, die Ganzheit und Heiligkeit bringen wird. Einige Exponenten erkannten aber, dass diese säkulare Ausrichtung auch Gefahren birgt, die zu Nationalismus, Entgleisung, Entmenschlichung, Zerstörung und Dämonisierung führen können, (wie es später in der Türkei, Russland, Deutschland und China mit den Massenmorden auch geschah). Auch das Vokabular der Zionisten lehnte sich an religiöse Begriffe:
· „alija“ Aufstieg zu höherer Seinsweise wird zur Einwanderung
· „olim“ Aufsteigender und Pilger wird zum Einwanderer
· „chaluz“ Befreiter, Erlöster und Geretteter wird zum Pionier

Etwas andere Richtungen schlugen die Geistesgrössen Martin Buber (1878-1965), der den Chassidismus vermittelte, Franz Rosenzweig (1886-1929), der Tora, Symbole, Rituale und Mythologie aktualisierte und Gershom Scholem (1897-1982), der die Kabbala erklärte.

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Montag, März 15, 2010

Karen Armstrong: Im Kampf für Gott

Karen Armstrong wurde 1945 in England geboren. Sie war sieben Jahre katholische Nonne, bevor sie 1969 ihren Orden verliess. Danach ging sie nach Oxford und lehrte am Leo Baeck College for the Study of Judaism. Sie ist Religionswissenschaftlerin und verfasste zahlreiche internationale Bestseller, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Ihr Werk "Kampf für Gott. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam" erschien im Jahr 2000 bei HarperCollins Publishers in London und wurde 2007 bei Goldmann verlegt unter der ISBN-Nummer: 978-3-442-15496-8.

Als Religionswissenschaftlerin verfügt Karen Armstrong über profunde Kenntnisse des Judentums, des Christentums und des Islams, die sie mit ihrem weitgehend sachlichen und informativen Schreibstil vermittelt. Sie versteht es ausgezeichnet, mittels wesentlicher Personen und Ereignisse eine verständliche und überblickbare Geschichte dieser drei monotheistischen Religionen und deren Wirkungen zu skizzieren.
Der Hauptgedanke dieses Werk ist in den Begriffen „Mythos“ und „Logos“ zu finden, den sie auf die Geschichte anwendet. Ein Mythos war bis zur Aufklärung der tragende religiöse Grund aller Gesellschaften, die zudem stark von der Landwirtschaft und deren Zyklen geprägt waren. Sie behauptet, dass ein historisches Ereignis erst religiös werden kann, wenn es mythologisiert wird. Der Rationalismus setzte jedoch den „Logos“ absolut und verdrängte den Mythos weitgehend. In Form von Aberglauben, Ritualen und später der Psychoanalyse tauchte er teilweise fragwürdig aber wieder sinngebend auf.

Die neuere Geschichte des Judentums ist von folgenden tragischen Ereignissen geprägt:
1378 und 1391 überfielen Christen in Aragon und Kastilien Juden, 1449-74 folgten ähnliche Verfolgungen, häufig bestand für die Juden nur die Wahl zwischen Auswanderung und Bekehrung. Bekehrte Juden wurden Marranen genannt, die oft auch beärgwöhnt und verfolgt wurden. Auch anderswo in Europa wurden Juden vertrieben: 1421 aus Wien und Linz, 1424 aus Köln, 1439 aus Augsburg, 1442 aus Bayern, 1454 aus Mähren, 1485 aus Perugia, 1486 aus Vicenza, 1488 aus Parma, 1489 aus Mailand und Lucca und 1494 aus der Toskana.
1492 begann in Spanien eine folgenschwere ethnische Säuberung, gleichzeitig entdeckte Kolumbus Amerika.
1534-72 lebte der berühmte Kabbalist Isaak Luria in Safed, der dieser jüdischen Mystik entscheidende Impulse verlieh. Gott wurde „En Sof“ genannt, was „ohne Ende“ bedeutet. 1665 erklärte sich Sabbatai Zwi zum Messias, er verfügte über viele Anhänger im osmanischen Reich. Als er von den Osmanen gefangengenommen wurde, konvertierte er zum Islam und enttäuschte seine Nachfolger gewaltig.


Zum Islam vermerkte Armstrong, dass die Sunniten Mohammed mythologisierten, während die Schiiten das Gleiche mit seinen Nachkommen taten. Einschneidend war für den Islam 1798, als Napoleon Alexandria eroberte. Die islamisch geprägten Staaten waren den westlichen Eindringlingen nun nicht mehr gewachsen in verschiedenster Hinsicht, und die wissenschaftlich-säkulare Kultur des Westens bedrohte und veränderte die islamische Welt.


In der christlichen Welt war die Reformation und der Rationalismus einschneidend und prägend für die Menschen. Armstrong bezeichnet aber Luther als noch mittelalterlich und mythisch geprägt, denn Erkenntnisse aus Natur und Wissenschaft spielten bei ihm kaum eine Rolle, Gott und die Welt blieben getrennt. Dagegen war Calvin in seiner Theologie deutlich rationaler und wissenschaftsfreundlicher. Dies ermöglichte die Erforschung der Natur und des Weltalls, wobei Kopernikus, Kepler und Gallilei wichtige Entdeckungen machten kurz nach der Reformation. Descartes und Newton war von den ersten Personen, die eine ganz rationale Weltsicht hatten, weil sie vom rationalen Denken durchdrungen waren.
Auch die Entwicklungen in Nordamerika beschreibt sie anschaulich: Amerika war ursprünglich durch die Gründerväter stark vom Rationalismus und dem daraus folgenden Deismus beeinflusst. Erst etwa um 1734, als die erste grosse Erweckung stattfand, wobei der gebildete Calvinist Jonathan Edwards (1703-58) führend war, nahm der Einfluss der frommen Protestanten zu. Bei der zweiten grossen Erweckung war der Methodist George Whitefield (1714-70) an vorderster Front. Und mit der dritten Erweckung holte Charles Finney (1792-1875) den Mittelstand ins fromme, evangelikale Boot. Die Religionsfreiheit und der Calvinismus, der sich im Kongregationalismus manifestierte, liessen aber auch viel Raum für Individualisten, die Spekulationen lehrten und Sonderlehren verkündeten, wie der Gründer der Mormonen Joseph Smith (1805-1844) und auch weitere eigenwillige Propheten.

Zusammenfassend beschreibt Armstrong die Verschiebung vom Mythos zum Logos auf Seite 143 so: „Kopernikus hatte den Menschen aus dem Zentrum des Weltalls vertrieben, Descartes und Kant hatten ihn der natürlichen Welt entfremdet, und jetzt behauptete Darwin, der sei nichts als ein Tier, sei nicht eigens von Gott geschaffen worden, sondern habe sich entwickelt wie alles andere auch. Tatsächlich schien für Gott im Schöpfungsprozess kein Platz mehr zu sein, und die Welt, „blutig an Zähnen und Klauen“, hatte keinen göttlichen Zweck mehr.

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Freitag, März 05, 2010

Rothenburg ob der Tauber






Deutschland ist für uns Schweizer schon ein sehr grosses und weitgehend unbekanntes Land. Durch unsere deutschen Gäste in der Casa Moscia lerne ich dieses Land und seine Leute besser kennen, verstehen und auch schätzen.
Meine Reise im Februar 2010 ins fränkische Rothenburg ob der Tauber war eine etwa zehnstündige Eisenbahnreise, die ich vor allem mit Lesen und Hinschauen verbracht hatte. Diese Winterreise führte mich durch halb Bayern, durch Städte wie Lindau, Augsburg und Ansbach. In Steinach stieg ich dann auf die moderne mittelfränkische Bahn um und bemerkte gleich die touristische Bedeutung Rothenburgs: Erste japanische Mitreisende waren zu sehen. Die geräumige und bequeme Bahn mit Panoramafenstern führte mich durch lieblich-gewellt-weisse Winterlandschaften. Die Endstation war Rothenburg selber, ein bedeutendes mittelalterliches Städtchen ob dem lauschigen Fluss Tauber.


Heute wohnen etwa 12'000 Bewohner dort, und es hat unglaublich viele Souvenirgeschäfte in der Altstadt. Weihnachtsdekor gibt es hier das ganze Jahr, so auch im Februar. Und alles ist auch in japanischer Schrift angeschrieben. In dieser Hinsicht kam ich mir vor wie in Interlaken oder Luzern... Von der Stadtanlage her war es eher wie Murten, wo man auch auf der Altstadtmauer entlang gehen kann.

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