Samstag, Juni 30, 2012

Boberts Geschichte der christlichen Mystik

Ihre eigentlichen Ausführungen zur Mystik beginnt Bobert dann erstaunlicherweise mit Platon und seinem Stufenweg (Seite 44). Er unterschied zwischen 1. Reinigungsstufe (in Symposion 199-201) 2. Einweihung in die Ueberlieferung (201-209) 3. Schau (209-211) . . . . . Etwas gewagt und theologisch einseitig finde ich Boberts These, dass Paulus platonisch beeinflusst gewesen sei. Er verarbeitete Mysterientheologie in der Kultpraxis, seine Tauflehre werde im Römerbrief 6-8, Gal 3,26 und 1Ko 1,13-17 entsprechend beschrieben. Das hauptsächliche Mysterium sei Christus, der den Menschen in der Auferstehung verwandelte. Danach verweist sie auch stark auf Clemens von Alexandrien, der 150-215 gelebt hatte. Er christianisierte Platon, forderte Arkandisziplin von Christen, die sich analog zu Platon zeigte in 1. Reinigung 2. Unterweisung (kleine Mysterien) und 3. Schau (grosse Mysterien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiter nimmt dann Bernhard von Clairvaux (1090-1153) viel Raum ein. Er lebte zur Zeit, als die Scholastik entstand, die besonders gut von Abelard (1079-1142) und Petrus Lombardus (1095-1160) verkörpert und vertreten wurde. Bernhard dagegen betonte Beziehung und Liebe zu Gott, besonders in seinen Hoheliedpredigten. Er plädierte für Gottes- und Selbsterkenntnis und Gottessuche in der Kontemplation. In (seinen) Klöstern wurde auch vieles aus Gottes unsichtbarer Welt abgebildet wie der quadratische Garten, der Kreuzgang, etc. So wurde Gott und seine Welt besser sichtbar, hörbar und fühlbar gemacht. Gruppenlernen und Dynamik der Klostergemeinschaften trugen noch Wesentliches zur Erfahrung von Transzendenz bei. Mönch Guigo II, der 1193 starb, lehrte folgende Methodenschritte fürs geistliche Leben: 1. Lectio (Bibel lesen) 2. Meditatio (meditieren) 3. Oratio (beten) 4. Contemplatio (schauen) . . . . . Auch Martin Luther lehrte einen ähnlichen geistlichen Weg und war von den Sakramenten und ihren Wirkungen überzeugt. Er legte vor allem die Erfahrungs- und Lebensfremdheit der Scholastik bloss. Der Benediktiner Odo Casel, der 1886 in Koblenz geboren wurde, und als Priester in Maria Laach tätig war bis er 1948 starb, wollte die Mysterientheologie erneuern. Das eigene Miterleben in der Eucharistiefeier wurde wichtiger, so kann „communio“ zur „unio“ werden. Er beachtete die Theologie der Kirchenväter stärker und verfasste religionsgeschichtliche Studien zu antiken Mysterienkulten. Bobert plädiert mit Manfred Josuttis (geboren 1936, ev. Theologe in Göttingen) hier gegen rationalistische Tendenzen und für pneumatische Prozesse. Die (westliche) Theologie greife heute oft zu kurz, denn das Wesen des Theologen sei die Glaubensschau, die von Christus ausgeht (Seite 74). Die Teilnahme am (Mess)Kult fördert das Verstehen. Bild Gottes zu sein sei das Wesen des Menschen, aber zugleich auch seine Aufgabe. Sünde störe Wahrnehmung(sfähigkeit) und Erkenntnis der Wahrheit. Je mehr das Ego zerstört werde, desto mehr entfalte sich Christus. Wandlung (in der Eucharistie) sei nicht religiöser Materialismus, sondern ein Sieg des Geistes; die Materie müsse Gott dienen. Wirksame Rituale hätten Gnadencharakter. Das Heilige sei eine Wirklichkeit, die immer präsent, aber nicht immer zugänglich sei, die man nicht auflösen darf. Durch rituelle Methoden werde ein atmosphärische Machtfeld realisiert, wo das Göttliche Menschen ergreife und Resonanz auslöse. Mystagogie sei die Kunst der Initiation, der Hineinführung in das Geheimnis der eigenen Existenz, anderer Menschen, des Kosmos und Gottes. Religiöse Phänomene seien möglichst wörtlich und wirklich zu nehmen. Christliche Mystik sei ein Erfahrungsweg, der auf ein gegenwärtiges Leben mit Gott ziele und echte Gotteserkenntnis bewirke. Sie sei personale Begegnung mit Jesus und dem dreieinigen Gott, die sogar erotische Komponenten umfassen könne, den Menschen reinige und verwandle zum Bild Gottes. Sie mache mit Jesus Christus heilsame Erfahrungen und lege anspruchsvolle Wege zurück. Die orthodoxe Theologie sei viel stärker Mysterientheologie geblieben, die mit kultischen Spiegelungen und Kommunikation und Kraftworten arbeite und mit Kraftteilhabe rechne. Ihre Spiritualität will den Geist materialisieren und die Materie spiritualisieren. Im Osten und Westen wurde durch die mystische Praxis die kulturelle Elite geformt und spezifisches „Kapital“ gebildet in Klöster, Kirchen und Schulen. Einige Definitionen von Sabine Bobert, da die Begriffe häufig noch unbekannt und zudem unscharf sind: 1. Christliche Mystagogik ist christliche Lehre vom mystischen Weg mit Jesus Christus; denn er ist das Urbild des Menschen 2. Praktische Mystagogik ist ästhetisch-kultische und individuell-übende Spiritualität 3. Mystagogische Theorie reflektiert mystische Tradition mit der Wissenschaft 4. Das (mystische) Menschenbild geht davon aus, dass der Mensch vor allem ein geistiges Wesen ist, das zur persönlichen Vereinigung mit Gott bestimmt ist 5. Gesellschaftlicher Kontext: Postmoderne, Interreligiosität und Esoterik 6. Theo-Aesthetik bedeutet zentrierte Aufmerksamkeit und Gegenwart Gottes in allem sehen . . . . . Bobert sieht die westlichen Menschen als heilungsbedürftig und leidend unter metaphysischem Heimatverlust (Peter L. Berger). Die Folgen seien eine Risikogesellschaft (Ulrich Beck) und Ich-AG. Ausgelöst wurde dies durch die Reformation, die ein Autoritäts- und Freiheitsproblem bewirkt hatte. Alles musste danach im Glauben angeeignet werden, sogar die Taufe. Der Einzelne erhielt dadurch viel Verantwortung, mit der nicht immer zurecht komme. Es habe eher zum Laientum aller Priester als zum Priestertum aller Laien geführt. Dagegen betone Mystik im Rahmen von Dietrich Bonhoeffer und von Teilhard de Chardin: · Teilhabe am Vater bedeute Sein, Schaffen und Einheit · Teilhabe am Sohn bedeute Werden, Existieren und Lieben · Teilhabe am Geist bedeute Bewusstwerdung, Integration, Denken und Licht (orthodox) . . . . . Der russische Universalgelehrte und Priester Pavel Florenskij (1882-1937) bezeichnete den Menschen (tiefsinnig) als Maske, Gesicht und Antlitz Gottes. Durch die Erlösung kann die maskenhafte Abspaltung und die dämonische Fremdherrschaft überwunden, das wahre menschliche Gesicht wiederhergestellt und das Ziel als Ebenbild Gottes nach dem Urbild von Jesus erreicht werden.

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Donnerstag, Juni 28, 2012

Sabine Bobert: Jesus-Gebet und neue Mystik

Seit einigen Monaten beschäftige ich mich vermehrt mit christlicher Mystik. Das hat vermutlich mit meiner Lebensmitte und der Ausschöpfung des diskursiven und kognitiven Zugangs zu Gott zu tun. Auf diesem Weg ist mir das äusserst informative und lesenswerte Buch von Sabine Bobert aufgefallen: Jesus-Gebet und neue Mystik. Grundlagen einer christlichen Mystagogik. (Verlag: Kiel Buchwerft Jahr 2010, 470 Seiten; www.buchwerft-verlag.de; ISBN-Nummer: 978-3-940900-22-7) . . . . . Etwas zur Autorin: Sabine Bobert wurde 1964 in Ostberlin geboren. Sie studierte Theologie an einem baptistischen Seminar, danach konvertierte sie zur evangelischen Kirche. Ab 1991 war sie zuerst Vikarin und dann Pfarrerin in Berlin. Sie promovierte mit einer Arbeit über Dietrich Bonhoeffer. Im Jahr 2000 war sie stellvertretende Theologieprofessorin in Marburg, ein Jahr später in Kiel. Sie ist Professorin für praktische Theologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Seelsorge, alter christlicher spiritueller Traditionen und postmoderner Spiritualität. Sie setzt sich dafür ein, dass die deutsche evangelische Messe wieder vollständig umgesetzt wird mit all ihren rituellen Handlungen. . . . . . . . . . . . . . . . Zum Inhalt: Sabine Bobert zeigt für mich zu Beginn ihrer Ausführungen eindrücklich auf, dass die akademische protestantische Theologie spirituelle Uebungswege, generell den Wert einer erfahrbaren Spiritualität heute neu kennen und vermehrt schätzen lernen muss und will. Bisher hat sie zunehmend auf säkulare Methoden der Sozialwissenschaften gesetzt, neu kommen religiöse Methoden, Symbole und Riten wieder stärker ins Blickfeld. Wenn wir weit genug zurückschauen, dann ist diese Entwicklung nicht neu, denn bis zur Scholastik war die Mystagogik, der Gottesdienstkult, die vorherrschende christliche Theologie. Im Westen haben jedoch die Scholastik, die Reformation, die Aufklärung und der Rationalismus die christliche Mystik und die geistlichen Uebungswege weitreichend marginalisiert. Im orthodoxen Osten war dies nicht geschehen, was Bobert als geistlichen Vorteil und Gewinn erachtet. . . . . Karl Rahner, der bedeutende deutsche katholische Theologe des 20. Jahrhunderts war ein Profet als er sagte: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein...“. Auch der Wissenssoziologe Peter L. Berger machte mit seinen Büchern „Wiederentdeckung des Uebernatürlichen in der modernen Gesellschaft“ (1970 und „Der Zwang zur Häresie“ (1980) auf dieses neue westliche Phänomen aufmerksam. Sabine Bobert unterscheidet drei Hauptarten von religiösem (christlichem) Wissen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . · Autoritäres Wissen, das sich aus der Tradition ableiten lässt. Bekanntester Vertreter dafür im 20. Jahrhundert war Karl Barth . . . . . . . . · Negierendes Wissen, das aus Anpassung an den damaligen Zeitgeist des Materialismus und der Entmythologisierung entwickelt wurde. Rudolf Bultmann steht für diese Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · Erfahrendes Wissen, heute vorherrschend, das induktiv und individuell angeeignet wird. Die wichtigsten Personen dafür sind Friedrich Schleiermacher, Karl Rahner und Ulrich Beck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusätzlich gab bereits um 1900 und auch schon vorher alternative Religionsparadigmen in Europa. Zu erwähnen sind Emanuel Swedenborg 1688-1772, Franz Anton Mesmer 1734-1815 und Rudolf Steiner 1861-1925. Sie setzten viel stärker auf religiöse Empirie. Im 20. Jahrhundert waren in dieser Richtung, C. G. Jung, Thorwald Dethlefsen und Elisabeth Kübler-Ross tätig. Sie portierten Reinkarnationsvorstellungen infolge persönlicher Erfahrungen; letztere glaubte nur, was sie erfahren konnte. Tod gab es für Kübler-Ross nicht, sondern Unsterblichkeit, die jedoch pseudowissenschaftlich begründet wurde. Der Körper wird als Haus, Tempel oder Kokon angesehen. Aehnlich argumentierte auch Max Planck, als er sagte: „Es gibt keine Materie an sich. Sie entsteht und besteht nur durch eigene Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und zusammenhält. Wir müssen hinter dieser Kraft einen bewussten und intelligenten Geist annehmen, der das Wahre ist.

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Samstag, Juni 02, 2012

Anteil geben an gelebtem Wort

Folgende Sätze von Chiara Lubich finde ich sehr bedenkens-, lebenswert und berührend: "Es genügt nicht, dass jeder nur für sich aus dem Wort lebt. Wichtig ist, dass wir einander an den Erfahrungen mit dem gelebten Wort Anteil geben. Wir wollen uns vom Evangelium prägen lassen, indem wir uns bemühen, das Wort zu leben; aber auch dadurch, dass wir offen sind für das Licht, das aus der Erfahrung der anderen kommt." . . . . . . . . .

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