Donnerstag, August 30, 2012

Zusammen allein - Gemeinsam einsam

Diesen Sommer habe ich im Tagi-Magi 26/2012 (Tagesanzeiger Magazin, das jeden Samstag erscheint in höchst unterschiedlicher Qualität) einen echt starken Artikel von Peter Haffner gelesen mit dem Titel "Weniger Internet, bitte!" Darin interviewte er Sherry Turkle, französische Professorin am MIT (Massachusett Institut of Technology) zum Internet. Dieses Gespräch ist wirklich erhellend, weil Turkle und das MIT bestimmt Gemeinschaftsgefühl und die Selbstreflexion. Gerade Smarphones sind aber psychologisch so mächtig geworden, dass sie nicht nur unser Tun, sondern auch unsere Beziehungen und unser Sein mitbestimmen. Wir akzeptieren und gewöhnen uns mehr daran, zusammen allein oder gemeinsam einsam zu sein. Die digitale Kommunikation nährt die Illusion, gebraucht zu werden, wichtig und nie mehr allein zu sein. Doch sie führt eher in die Isolation mangels echten Kontakten. Allein sein können, nichts tun müssen, Langeweile haben und auch träumen sind jedoch wichtig für unsere menschliche Entwicklung und Reifung. Einen Ort haben, wo ich nicht auftreten und präsentieren muss, sondern einfach sein kann. E-mails und Powerpointpräsentationen fördern das Stellen von Fragen, die sofort beanwortet werden können und müssen. Wir wollen alles kurz und süss; aber dadurch wird das Niveau gesenkt, weil die Stille des Denkens und der langsame Aufbau häufig fehlen. Eine verwobene, komplexe Sache wird nicht mehr nachvollzogen und zu Ende gedacht. Multitasking macht nicht alles besser, sondern vieles schlechter. Es verdeckt auch unseren Mangel an Zuwendung, die Defizite der Intimität und Aengste der Einsamkeit. Leben und Beziehungen sind komplex und schwierig, es gibt glückliche und schmerzliche Zeiten. Wir alle haben eine einzigartige Biografie, aber die Technik, im speziellen die Roboter, suggerieren uns, dies alles sei einfach und machbar, und so merken wir nicht, was wirklich passiert. Wir wissen nicht mehr wirklich, was soziale Güter wie Privatspähre und Intimität sind. Die Lösung heisst das gesunde, richtige Mass finden, zwischendurch Pausen und Orte definieren, wo es kein Internet und somit Erreichbarkeit gibt. Geschützte Räume schaffen, die nur für Gespräche und Gemeinschaft reserviert sind. Sie helfen uns, wieder glücklich, nachdenklich und kreativ zu werden.

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Freitag, August 03, 2012

Mein Fazit zu Boberts Mystik

Informativ, treffend und hilfreich finde ich Sabine Boberts präzise Beschreibungen und Analysen der Gegenwart. Und im letzten Teil kommt nochmals ihr berechtigtes Anliegen zur Geltung: sie misst christlichen Symbolen und lutherischen Riten grosse Bedeutung zu, auch weil sie noch heute körperlich erfahrbar sind. Im Zeitalter der Information und Virtualität ist dies besonders wichtig und auch gut nachvollziehbar. Deshalb will sie die deutsche Messe wiederbeleben. Ich vermute, dass dies auch viel mit ihrer Konversion von einer baptistischen Freikirche zu der evangelisch-lutherischen Kirche zu tun hat. Freikirchen haben häufig viel Sinn für Inhalte und Lehre, jedoch wenig Ahnung für eine bewusste und passende Wahl von Formen und Liturgien im Gottesdienst, Glaubensstufen und Lebensentwicklung ihrer Mitglieder. Gerade auf sensible Menschen wirkt dies oft einengend, schablonenartig und platt. Manchmal hatte ich beim Lesen aber den Eindruck, dass Sabine Bobert dabei etwas übers Ziel hinausschiesst: sie stellt Entwicklungen, Personen und Kirchen nur positiv dar, die durchwegs auch negative Seiten hatten, die aber von ihr ignoriert und ausgeblendet werden, beispielsweise: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · Die Verbindung von platonischer Philosophie und christlichem Glauben, die eine körperfeindliche und hierarchische Entwicklung in Theologie und Kirche begünstigte · Bernhard von Clairvaux, Martin Luther und Ignatius von Loyola haben sicher herausragende Leistungen erbracht, aber sie waren auch an unheilvollen Entwicklungen beteiligt, an Gewalt, Kreuzzügen, Machtpolitik und Antisemitismus · Die orthodoxen Kirchen sind häufig auch ein Machtfaktor und problematisch verquickt mit Politik und Militär in ihren jeweiligen Gesellschaften und Staaten. Dagegen ignoriert Bobert mehrheitlich gewaltlose christliche Bewegungen, die noch heute bedeutsam sind und deren Mystik rezipiert und weitergetragen werden sollte: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · Jüdische Herkunft des christlichen Glaubens · Jüdische Mystik · Nicht (hoch)kirchliche Mystik, z.B. Pietismus, Quäker u.a, die viel bewirkt haben. Es wäre spannend, mit Sabine Bobert darüber ins Gespräch zu kommen.

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